Kleingartenverein Neu Brasilien

"Wenn die Seele Urlaub braucht, geh in deinen Garten!"
In aller Kürze
Neu Brasilien wurde im Jahr 1908 vom Gänsehäuflbegründer und Naturheilkundler Florian Berndl gegründet, der damit Wiens Kleingartenkultur ins Leben rief. Nachdem die Stadt Wien den Pachtvertrag des Gänsehäufels mit dem umstrittenen Freikörperkulturvertreter gekündigt hatte, zog dieser auf die andere Seite des Gänsehäufels und pachtete dort Land um erholungssuchenden Städtern die Möglichkeit zu geben, an der frischen Luft zu sein und eigenes Gemüse anzubauen. Weil der Sand dort so weiß wie in Brasilien war, nannte der Naturapostel seine Kleingartenkolonie "Neu Brasilien". ​
Die früher als "Spinner" verschriene Gruppe rund um Florian Berndl hat sich in den letzten 114 Jahren von einer kleinen Siedlung am Stadtrand zu einer ansehnlichen Kleingartenanlage gemausert. Einst von Feldern, Wiesen und Sümpfen umgeben, liegt sie heute inmitten der Großstadt (vgl. Bayer, E - Der österreichische Kleingärtner, 1985/4). Aus den kleinen Hütten sind mittlerweile ganzjährig bewohnbare Häuser geworden, aus den meisten Gemüsebeeten hübsche Gartenparadiese und aus dem ehemaligen Schutzhaus "Neu Brasilien" wurde 2017 das "Bootshaus".​
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Im Folgenden finden Interessierte allerhand Geschichtliches aus über 100 Jahren Vereinsgeschichte in digitaler Form - basierend auf der umfangreichen analogen Sammlung, welche im Vereinsheim aufliegt. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die Chronisten der Vergangenheit, welche vor uns fleißig gesammelt, dokumentiert, aufgehoben, eingeklebt und niedergeschrieben haben.
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Anmerkung: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Sollten Sie also zufällig alte Fotos, Dokumente, Zeitungsberichte , Postkarten, Pläne etc. besitzen, welche das Leben im Kleingartenverein Neu Brasilien dokumentieren, würden wir uns freuen, wenn wir sie unserer Chronik hinzufügen dürften - keine Sorge, die Originale bleiben immer bei Ihnen, wir fertigen Kopien an!

Chronik: 1908 - 1948
1908
1909
1918
1933
1938
1939
1945
1946
Gründung des Vereins durch Florian Berndl. Wegen des herrlich weißen Sandstrandes an der Unteren Alten Donau wurde der Verein "Neu Brasilien" genannt. Die ersten Pächter waren verpflichtet, bei Florian Berndl ihren Bedarf zu decken. Er war nicht nur ein unternehmungslustiger Idealist, er war auch ein tüchtiger Geschäftsmann. Florian Berndl beglückte und quälte seine Siedler mit seinen Naturheilverfahren, verkaufte ihnen aber gleichzeitig Wurst und Bier zu Preisen, die er festgesetzt hatte. (vgl. Bayer, E - Der österreichische Kleingärtner, 1985/4). Dadurch gab es ständig Streit.
Einige Pächter trennten sich vom "Berndl-Verein" und gründeten unter Alois Mickerts ihren eigenen Verein: Den "1. Wiener Lust + Nutzgarten-Verein"
Viele lachen heute über den Titel, aber die Vereinsquellen enthüllen die Gründe für die Namensgebung: Damals war es nicht gestattet, wild in der Alten Donau zu baden - Wächter und Polizei erlaubten ein Betreten des Wassers nur bis zum Knie. Auch das Liegen am Strand oder im eigenen Garten wurde damals als "Lust" bezeichnet und war somit verboten. Ein Übernachten von Samstag auf Sonntag in der eigenen Hütte war aus moralischen Gründen ebenfalls (sogar Familien) untersagt. Aufgrund der Möglichkeit, im Garten Gemüse und Obstbäume anzupflanzen, entstand der zweite Teil des Namens.
Mitten im Nachkriegselend des 1. Weltkrieges, beschließen der Verein Neu Brasilien, der 1. Wiener Lust + Nutzgarten-Verein und die Gartensiedlungen (B+C Kolonie) sich zusammenzuschließen und nur mehr den Namen "1. Wiener Lust + Nutzgarten-Verein" zu führen.
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In der Zwischenkriegszeit erlebte der Verein eine Blütezeit. Seine Feste und Auffahrten mit geschmückten Booten auf der Alten Donau wurden weit über die Grenzen Wiens hinaus bekannt. Außerdem gab es eine aktive Vereins Szene (Gymnastikvereine, Chorsingen, Theaterverein, Schwimm- und Ruderklubs...). Die drei (!!) vereinseigenen Badestrände wurden liebevoll gepflegt und erfreuten sich großer Beliebtheit.
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Bis 1933 begann der Verein, gepachtete Grundstücke von Bauern für seine Mitglieder aufzukaufen. Von nun an gibt es Pacht- und Eigentumsgründe. Der damalige Obmann Matthäus Fitz erwarb sich dabei große und unbezahlbare Verdienste.
Zur 25 Jahresfeier gab es große Feierlichkeiten sowohl im Verein, also auch auf der Alten Donau mit einem prächtigen Boots- und Blumenkorso. Sogar in Zeitungen und auf Plakaten wurde dafür Reklame gemacht. Der Verein wurde durch Ehrengäste der Stadt Wien, des Bezirks und der Bevölkerung gefeiert und gewürdigt.
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Die Katzenfrage wurden so emotional diskutiert - dass sie sogar Einzug in die Festschrift von <<NAME DES AUTORS>> hielt. "... Jede Gelegenheit nützt sie, um ihrer Raubeslust zu fröhnen... Ihren Urinstink kann sie niemals verleugnen... Wie oft legen am frühen Morgen ausgeräumte Nester und zerzauste Vogelfeder Zeugnis von einem blutigen Drama, das sich nächtlicherweile im Garten abgespielt hat. Mir scheint, nur eine durchgreifende Razzia wird im Stande sein, Abhilfe zu bringen."
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Der Verein wurde von der damaligen Deutschen-Reichsregierung für den Reichsgau Wien in "Deutscher Kleingartenverein Neubrasilien in Wien" umbenannt (nach einer Umfrage). Die Gründe hierfür können leider nicht mehr nachvollzogen werden, da durch Bombentreffer und Plünderungen Unterlagen vernichtet wurden. Nach dem Anschluss an das Deutsche Reich verloren einige nichtarische Mitglieder ihre Gärten.
Nach Ausbruch des Krieges wurden die Gärten immer mehr wieder zu Nutzgärten. Gemüse und Kartoffeln wurden angebaut und die Kleintierhaltung erlebte einen Aufschwung. nach und nach mussten die meisten Männer zum Militär einrücken und viele davon bleiben auf den Schlachtfeldern. Als, gegen Ende des Krieges, die alliierten Flieger auch Wien heimsuchten, wurde für so Manchen das Gartenhaus zur letzten Zufluchtsstätte. Einige Mitglieder erlitten aber auch in ihren Gärten durch Bomben schwere Schäden und verloren zum Teil ihre gesamte Habe.
Bei den Kämpfen im Jahre 1945 wurden unsere Anlagen durch Kampfhandlungen und Plünderungen erst recht schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch das Vereinsheim wurde damals geplündert und beschlagnahmt. Viele Unterlagen gingen dabei verloren. Durch die russische Besatzungsmacht besetzt und enteignet, hörte der Verein zu existieren auf.
Engagierte Mitglieder erreichen eine Reaktivierung / Neuordnung des Vereins. Auf Wunsch der Mitglieder kehrte man zum alten Vereinsnamen "Erster Wiener Lust- und Nutzgarten-Verein" zurück.
1921-24
In der gesamten Anlage wurden Wasser und Stromleitungen gelegt.
1947
Im Zuge der Entnazifizierung mussten jene Mitglieder gemeldet werden, die Mitglieder bei der NSDAP waren. In deren Gärten wurden vielfach zwangsweise Einweisungen vorgenommen. Die betroffenen Mitglieder, die Pachtgründe besaßen, verloren diese. die meisten "Eigengründler" bekamen bis 1954 Ihre Gärten zurück, oder die Eigewiesenen erwarben diese von ihnen durch Kauf.
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Die Mitglieder waren nun mit der Beseitigung von Kriegsschäden beschäftigt, bauten überlebensnotwendiges Gemüse und Obst an, und hielten sogar Hasen, Hühner und sogar Schweine und Ziegen (es existieren Aufzeichnungen über die Belästigung durch Lärm und Gestank dieser Nutztiere).
Chronik: 1948 - 2023
1950er und 1960er
1980er
späte 1970er
Schwere Jahre...
In den folgenden Jahrzehnten konnte man sich zu den runden Jubiläen keine großen Feierlichkeiten leisten. Interne und finanzielle Schwierigkeiten schüttelten den Verein.
Mitglieder forderten den Kanalbau in unseren Anlagen - dies führte zu Unstimmigkeiten innerhalb der Vereinsleitung.
Daraufhin wurden die Kanäle mit Pumpstationen in Privatinitiative gebaut. Danach folgte die Vermessung aller Gärten - dadurch wurde die Eintragung der Eigentümer als Einzeleigentümer ins Grundbuch erstmals möglich. . Auch die Pachtgründe wurden nun vermessen, da die Stadt Wien einen Verkauf der Pachtgründe in Aussicht stellte.
Es folgte der Bau einer neuen Wasserleitung (1996-1997) und der gleichzeitige Bau einer Gasleitung. Unsere grünen Vereinstore stammen ebenfalls aus dieser Zeit.
Der Beginn des Neubaus der Wasserleitung im Jahre 1952 war infolge unzähliger Rohrbrüche vorrangig, und anschließend 1955 die Einleitung / Sanierung von Stromleitungen. Diese unabdinglichen Sanierungsmaßnahmen überforderten die finanziellen Möglichkeiten vieler Mitglieder und auch die des Vereins. Nach Unwettern, waren die Vereinswege beinahe unpassierbar. Sie wurden 1964 weitblickend durch Betonwege (statt Schlacke) ersetzt.
1961 erhielten alle unsere Kleingärtner erstmals Koloniakübel (Anmerkung: Mistkübel)
Ender der 60er Jahre wurde der letzte Vereinsstrand von der Gemeinde Wien aufgekündigt - damit war auch das Ende der Schwimmbewerbe der Vereinsjugend besiegelt.
In diesen Jahren machten Gerüchte die Runde, dass die Stadt Wien plante, die Siedlungen zu räumen bzw. zu schleifen um (u.a. Beschäftigten, der im Bau befindlichen UNO-City) Wohnraum zur Verfügung zustellen. Immer wieder tauchen Pläne der Stadt Wien auf, die eine dichte städtische Bebauung dieses Gebiets rund um die Alte Donau vorsehen. Vereinsobmann Kurt Kratochwil und der damaliger Bezirksvorsteher Schultz retteten mit viel Einsatz und Engagement unsere Anlage und den Mitgliedern ihre Gärten.
Aus Angst vor einer Absiedelung und der ungewissen Zukunft, verkauften viele Eigengrundbesitzer ihre Gärten. Dadurch kamen etliche jüngere Gartenneulinge in unseren Verein und brachten neuen Schwung und Elan mit.
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Am 9. Mai 1998 wurde das 90. Jubiläum mit einem großen Fest im Naturfreunde-Bad gefeiert. Zu feiern gab es einiges, denn durch die nun funktionierende flächendeckende Infrastruktur (Strom, Wasser, Kanal und Gas) und der Möglichkeit des Erwerbes der Pachtgrundstücke, begann eine rege Bautätigkeit. Immer mehr Sommergartenhäuschen wurden durch Neu- oder Umbau zum Ganzjahreswohnsitz.
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1998
Kurz nach dem 90jährigen Bestehen trennte sich der Verein nach finanziellen Problemen und drohenden Rechtsstreitigkeiten von der Gartensiedlung und nahm wieder den ursprünglichen Gründernamen "Wiener Kleingartenverein Neu Brasilien" an.
2003
2021
100 Jahre nach dem Einleiten des Stroms, wurde der letzte Garten an den Strom angeschlossen ;)